Die neue Kirchenleere
Corona ermöglicht schon heute einen Blick in die reformverweigerte Kirche
Wenn Jesus damals schon gewusst hätte, was aus seiner Kirche wird, hätte er sich dafür kreuzigen lassen? Und es waren nicht nur die extrem düsteren Zeiten des Mittelalters, die man den Menschen erspart hätte. Die Kirche war immer eine Nehmende. Die Gläubigen, gerne als Schafe bezeichnet, waren ihr ausgeliefert und mussten sie ernähren. Dank Aufklärung sind wir heute frei, frei zu glauben und frei es ohne katholische Kirche zu tun. Frei, über Sinn und Inhalt von Religion nachzudenken. Frei, Bücher von Schriftstellern zu lesen, die von der Kirche die Lehrerlaubnis entzogen bekamen. Küng, Drewermann, Stutz. Intelligente Geister, deren Erkenntnisse über die Marmorpaläste des Vatikan hinausreichten, in sie nicht hineinpassten.
Vom Herrschen zum Dienen
Will die Kirche überleben? Natürlich will sie das und zwar auf möglichst hohem Niveau. Aber wie soll das gehen? Je mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren, umso reduzierter werden die Kirchensteuerzahler und umso weniger Politiker wird es geben, die dem Staat zumuten wollen, die Kirchensteuer einzutreiben. Der Tag X ist vermutlich nicht mehr allzufern. Und dann? Zunächst mal großes Heulen und Wehklagen über die vermeintliche Ungerechtigkeit. Aber ist es ungerecht, wenn einer Institution, die ein Feudalsystem gegen den Willen der meisten Mitglieder aufrecht erhalten will, die Unterstützung verweigert wird. O, es geht ja um die reine und unverfälschte Lehre! "Der Größte unter euch soll euer Diener sein!" Also wenn das dienen ist, was die Herren Kirchenfürsten Müller & Co. machen, dann muss man Dienen neu definieren. Ihr Verhalten mit der Forderung Jesu in Einklang zu bringen, wird selbst einem hartgesottenen Katholiken schwer gelingen.
Demokratie
Die Kirche von Morgen muss eine Kirche für Menschen in der Zeit sein. Also müssen die Menschen sehr viel Einfluss auf die Kirche haben. Das fängt mit einer demokratischen Struktur von unten bis ganz oben an. Wenn man sich mit der Geschichte der Päpste ein bisschen beschäftigt, dann kann der Heilige Geist oft nicht dabei gewesen sein. Sehr viele Entscheidungen haben sehr wenig mit göttlicher Fügung zu tun. Da findet man einige illustre Figuren und bemerkenswerte Korruption. Nicht der Papst sollte einen Bischof bestimmen, sondern der Diözesanrat. Auf allen Ebenen müssen Laien wesentlichen Einfluss haben. Das muss auch für den Vatikan gelten. Folglich gibt es keine deutsch Bischofskonferenz, sondern einen deutschen Katholikenrat. Der wählt seine Vertreter für den Weltkatolikenrat. Und der Weltkatholikenrat in Rom wählt den Papst. Eigentlich ganz logisch. Dann kann man endlich den Heiligen Geist aus seiner korrumpierten Rolle befreien.
Wer erfand Religion?
Es ist eine der Vermessenheiten unserer Kirche, dass sie alles, was vor ihr war als Heidentum hinstellt. Dabei muss man schon mal feststellen, dass der Monotheismus seine Entstehungsgeschichte in den Wüstenregionen des Südens begann. Im Norden gab es mehrere Götter. Es gab keine unterschiedlichen Regionen, weil jede Region für sich lebte, man also nicht sagen musste, ich bin Anhänger dieser und jener Religion. Die "Heiden" hatten was sie brauchten und sie brauchten einen Schutz gegen die zerstörerischen Kräfte der Natur, außerdem eine Brücke ins Jenseits. Denn als wir begannen abstrakt zu denken, begriffen wir recht schnell, dass unserem Leben ein Ende gesetzt ist. Und was dann? Alle Religionen haben die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt. Riten zur Besänftigung der Natur und die Schaffung eines Jenseits mit Weiterlebensgarantie. Die Religion garantierte Sicherheit und ewiges Leben. Durch Opfer kann man das Schicksal beeinflussen. Geld oder Gebet. Mehr brauchte man damals nicht, aber heute bräuchte es mehr.
Das neue Anforderungsprofil
Fitnessclubs, Wellnessoasen, Yoga, die Bandbreite ist riesig. Alles Dinge, die uns keinen materiellen Vorteil bringen, aber das Wohlbefinden steigern. Wobei viele Ersatzreligionen ausschließlich um den Körper kreisen und nur wenige das Geistesleben einbeziehen. Von der Kirche ein Fitnessprogramm zu verlangen, würde den Bogen überspannen und vermutich fehlte auch das Fachpersonal. Doch allein das Geistesleben ist so ein großes und braches Feld, dass die Kirche nicht auf ungewohntem Terrain wildern muss. Aber leider ist ihr auch die Fähigkeit abhanden gekommen, sich auf die Menschen einzulassen, so sie diese Fähigkeit in den letzten Jahrhunderten überhaupt hatte. Wer ein Problem lösen will, muss es verstehen. Wer die Welt verbessern will, muss sie kennen. Wer dem Menschen helfen will, muss ihn und seine Welt kennen und verstehen.
Das zweite Vatikanische Konzil machte einen großen Schritt in die richtige Richtung. Die Pfarrgemeindräte wurden gegründet, damit die Laien ihre Erfahrungen einbringen können. Es gab eine Zeit lang alle möglichen Veranstaltungen, Vorträge, Workshops, rhythmische Gottesdienste. Aber fast alles schlief wieder ein. Pfarrgemeinderäte als Geldsammler und Pfarrfestorganisierer. Die Euphorie des Mitredens am Klerus zerschellt.
Die Zukunft
Eltern müssen den Kirchenaustritt ihrer Kinder akzeptieren, viele verstehen ihn auch. Sie hätten nicht mehr tun können. Je mehr Weit- und Tiefblick man ihnen ermöglichte, umso größer die Enttäuschung an der wunschfernen Realität. Das mag noch eine Weile so weiter gehen. Es ist halt immer eine Frage, wie viel an Zerstörung passieren muss, bis eine aussichtslose Verteidigungsposition aufgegeben wird. Und selbst dann wird es jene geben, die sich verhärmt immer noch im Besitz der einzigen Wahrheit wähnen. Dabei erkannte selbst Pilatus "Was ist Wahrheit?"
Vermutlich würden wir alle ein staunendes Erwachen erleben, wenn alles, was heute als in Stein gemeißelt gilt restlos auf Wahrheitsgehalt und Christi Willen geprüft werden könnte. Rom würde dieses Erdbeben vermutlich nicht überstehen und die Adelshierarchie zu Staub der Geschichte werden. Dann müssen wir beherzt die Ärmel hochkrempeln und ganz neu anfangen.